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Hearsafe hört zu: Eisbrecher (GER) im Interview

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Eisbrecher v.l.: Achim Färber (Drums), Rupert Keplinger (Bass), unser Interviewpartner Alexander „Alexx“ Wesselsky (Gesang), Jochen „Noel Pix“ Seibert (Gitarre), Jürgen Plangger (Gitarre). © Sony Music

Mit „Sturmfahrt“ erscheint heute das nunmehr siebte Album der neuen deutschen Hoffnungsträger Eisbrecher. Wir plauderten mit Sänger Alex Wesselsky, der nicht nur Frontmann des Quintetts aus Bayern ist, sondern ein echter Tausendsassa. So bekleidet er auch die Rolle des Arktos im Rockmusical „Tabaluga“ von Peter Maffay. Ein Telefonat.


Alex, lass uns vorne anfangen. Wie seid ihr auf euren Bandnamen gekommen?

Auf den Bandnamen sind wir gekommen, als wir an einem eisigen Wintertag in Freising im Studio saßen: Draußen war Sauwetter, es war kalt und wir haben die Mucke gehört, die wir gerade verbrochen hatten. Ich sagte: ‚Das klingt wie die Nautilus, die sich unter’m Eis durchschiebt!‘ Noel entgegnete: ‚Nö, das klingt wie ein Schiff, dass sich oben durchbricht!‘ So kamen wir auf ‚Eisbrecher‘ und recherchierten kurz. Es gibt ein Nena-Album mit diesem Namen und das ein oder andere Buch. Der Bandname war also frei und Gott sei Dank haben wir uns dafür entschieden, denn der Eisbrecher ist nicht nur ein Name, sondern auch eine Metapher.

Eine Metapher wofür?

Eine Metapher für Stärke, für Hilfe in der Not – der Eisbrecher haut dich raus. Eine Metapher dafür, dass man überall hinkommt, aber auch dafür, dass Dinge zerbrechlich sind, und auch für das Eisbrechen zwischen Menschen.

Revolution voraus – Eisbrecher sind eine Band mit Mission. © Holger Fichtner

Inwiefern hat eure Herkunft Bayern einen Einfluss auf eure Musik?

Wir sind Bayern und tragen dennoch keine Trachtenhüte oder Lederhosen. Wir blasen auch nicht ins Alphorn oder in die Tuba. Aber natürlich: Was dich umgibt, macht den Menschen. Ich denke, dass es schon ein Unterschied ist, ob du aus dem flachen Land kommst oder aus der Bergregion. Wir sind aus Oberbayern. Da fängt es an, hügelig und schön zu werden und natürlich prägen wir und die Umstände, unter denen wir großgeworden sind, auch die Mucke. Nicht im Sinne von ‚volkstümlich‘, sondern aus revolutionärer Sicht.

Aus revolutionärer Sicht?

Es ist und bleibt der Job der Rockmusik auch mal Gegentrends zu setzen und seine Meinung gegen politischen Blödsinn zu äußern – und davon haben wir in Bayern ja mehr als genug! Also, danke an all die Ministerpräsidenten der letzten Jahre: Uns gehen die Themen nicht aus! So entsteht auch ein Song wie ‚Was ist hier los?‘. Der ist global zu sehen und nicht nur auf Bayern bezogen, aber wir schauen schon hin. Wir sehen unsere Heimat positiv und kritisch.

Warum habt ihr euch für deutschsprachige Texte entschieden?

Deutschland ist unser Mutterland. Wir sind vor allem hier unterwegs und stehen zu 99% auf deutschen Bühnen. Wieso steht man Abend für Abend vor deutschem Publikum, um dann zwischen Songs die englischsprachigen Texte zu erklären, damit es hinterher einer versteht? Wieso hat man die deutsche Sprache komplett dem Schlager überlassen? Englischen Rock zu feiern, war ja nur deshalb so cool, weil es in Deutschland nur Schlager gab und man anders sein wollte, als die Eltern. Wir machen das nicht, weil wir Deutschtümler sind, sondern weil wir verstanden werden wollen und das ist ein ganz wichtiger Aspekt.

Das atmosphärische Artwork zu „Sturmfahrt“.

Was verbirgt sich hinter dem Albumtitel „Sturmfahrt“?

Ha! Mache nie den Fehler, auf die Frage ‚Was interpretierst du?‘ oder ‚Was hast du dir dabei gedacht?‘ zu antworten. Du hast mich fast gehabt, aber ich habe es noch gemerkt! Der Sherlock in mir ist wachsam! Wenn ich sage, dass es um einen Sturm geht und um eine Fahrt und dass es sehr pathetisch ist und ‚Auf in den Untergang!‘ und einen apokalyptischen Ritt thematisiert, der natürlich auch mit einem Augenzwinkern zu betrachten ist, verrate ich nicht zu viel. Man kann den Titel aber auch wieder als Gesellschaftsparabel sehen: Mit Vollgas an die Wand. Das ist etwas, was den modernen Menschen auszeichnet. Die Leute sollen ihr Gehirn benutzen. Damit habe ich mich nun eh schon zu weit aus dem Fenster gelehnt.

Ihr seid jetzt schon lange ein aktiver Teil des Musikgeschäfts. Was würdet ihr einer Newcomerband mit auf den Weg geben, die gerade ihre ersten Schritte unternimmt?

Ich glaube die Chancen haben sich heute weder verbessert, noch verschlechtert. Du brauchst exakt die gleichen Komponenten: Eier aus Stahl, ein Herz wie ein Löwe, Kampfeswillen und ein gutes Maß an Selbstüberschätzung. Das ist das Privileg der Jugend. Du brauchst ein gutes Maß an Naivität. Du musst auf das Business scheißen und dann musst du dranbleiben, dranbleiben, dranbleiben, lernen, lernen, lernen, bluten, bluten, bluten, kämpfen und Erfolge einfahren! Dann kommt der Punkt, an dem du verstehen musst, dass es eben nicht nur um den Spaß und nicht nur um die Bühne geht.

Sondern?

Du musst lernen, dass das ein Business ist und darfst dir von dieser Erkenntnis nicht den Spaß vermiesen lassen. Das musst du annehmen und schauen, wie du am besten durchkommst. In meiner Welt gibt es ein Credo: Wenn andere mit dir Geld verdienen, musst du auch Geld verdienen.

Musikerohren sind besonderen Belastungen ausgesetzt. Wie handhabt ihr das?

Ich war der letzte in der Band, der auf In-Ear-Monitoring umgestiegen ist. Das war 2012.  Ich habe mich immer geweigert, weil mir beim Ausprobieren oft das Live-Gefühl flöten ging. Irgendwann habe ich gemerkt, dass man sich diesbezüglich natürlich behelfen kann. Man gibt genug dazu, nimmt den Hörer mal raus oder steckt ihn wieder hinein. Ich habe da meinen Modus gefunden. Inzwischen möchte ich es nicht mehr missen, weil man einfach gut hört und das Live-Gefühl trotzdem spürt. Man muss bloß lernen, damit umzugehen. Wir nutzen alle In-Ear-Monitore, wie so viele andere Bands auch, aber das Richtige und Wichtige ist: Nach all den Jahren in Rockbands – ich stehe inzwischen seit 30 Jahren auf der Bühne, 25 davon professionell – sind die Ohren bei mir das, was mit am besten funktioniert. Da bin ich heilfroh. Ich höre wie eine Eins und lasse das auch immer mal wieder checken. Ich war in meinem Leben auch auf Konzerten, aber ich habe schon immer auf meine Ohren aufgepasst. Taschentuch zerknüllen und rein! Ich habe nie verstanden, warum viele da stehen und das geil finden, wenn es vor allem eins ist: brachial laut! Klar, es braucht eine gewisse Lautstärke. Wenn du leise Rockkonzerte willst, kannst du zuhause bleiben. Das funktioniert nicht – Rock muss körperlich spürbar sein! Ein Bass, der nicht im Magen drückt, ist keiner! Aber: Pass auf deine Ohren auf! Ich kenne genug Leute, die einen Tinnitus haben und habe genug Beispiele gesehen, die man auf keinen Fall selbst erleben will. Frag Brian Johnson von AC/DC, wie es dem wohl geht, mit seinem Ohrenproblem. Es lebe das Ohr! Ich lege weiterhin größten Wert darauf, dass das so bleibt. Es gibt keine Pfeif-Feedbacks mehr. Es gibt nicht mehr das Gefühl, als würde man hinter einem startenden Flugzeug stehen, statt auf einer Bühne. Man hat immer einen geilen Monitorsound und kann sich auf das konzentrieren, um das es geht, ob schön singen oder laut schreien: Eine geile Show abliefern und nicht da stehen und mit einem Finger im Ohr zum Monitormischer schauen und sagen: „Hey, was ist da eigentlich los? Ist das noch Musik oder bricht hier gerade ein Haus zusammen?“ Daumen hoch für eine der Erfindungen, die extrem positiv sind – eine großartige Sache!

Du singst nicht nur bei Eisbrecher, sondern verkörperst auch den Eisgeneral Arktos im Rockmusical „Tabaluga“ von Peter Maffay. Wie kam es dazu?

Die Kurzform ist: Man kennt einen, der einen kennt, der einen kennt und zack-bumm bist du bei Maffay, schüttelst ihm die Hand und stehst kurze Zeit später neben Heinz Hönig als Adjutant Eisgeneral auf den größten Bühnen, die Deutschland anzubieten hat. Das ganze 64 mal innerhalb von zweieinhalb Monaten. Das sind Weltrekordmaße, alles ging sehr plötzlich los und man fragt sich, wie genau das passiert ist und wie schnell das alles ging. Jetzt ist auch wieder ein halbes Jahr vorbei. Unser Bassist Rupert Keplinger schreibt seit Jahren immer mal wieder Songs für Tabaluga und Peter Maffay, insofern kennt er den Gitarristen von Peter Maffay gut. Die sitzen mit Peter Keller alle in den gleichen Hamburger Studios herum. Peter Keller wiederum kam irgendwann zum Eisbrecher-Gig nach Oberhausen und sagte, dass die Band ganz geil sei. Er erzählte, dass sie an einer Neuauflage des Songs „Schlüssel zur Macht“ vom Album „Es lebe die Freundschaft“ arbeiteten, gespickt mit irgendwelchen Stars und ob ich da nicht Bock hätte. Ich sagte, dass ich nicht wisse, ob ich es könne, aber dass ich es gerne probieren würde und dass es mir möglich sein würde, dieser Aufgabe gerecht zu werden, wenn es rockt. Also, auf nach Hamburg zum Einsingen! Alle haben sich gefreut, fanden es geil und Maffay hat es auch persönlich abgesegnet. Da war alles auf grün. Danach hat er die Nummer in einem Schloss in München präsentiert. Da gibt es so ein Center für CD-Präsentationen. Da kamen Samy Deluxe, Tim Bendzko und wie sie alle heißen. Wenn du dann mit der Maffay-Band in kleinem Rahmen, im Rahmen einer Fan-Session vor 500 Mediengästen und VIPs – inklusive meiner Mutter!! – sitzt, dann geht dir der Stift. Außerdem habe ich an dem Abend beschlossen, etwas zu machen, mit dem keiner gerechnet hat. Ich habe mich einfach mal umgezogen und bin dann – ohne es abzusprechen – in einem weißen Anzug mit einem schwarzen Cowboyhut auf die Bühne spaziert. Da haben natürlich alle geguckt. Das Ganze kann man sich auch auf YouTube anschauen (siehe unten – Anm. d. Red.). Die Reaktionen haben mich echt umgehauen. Das klingt jetzt angeberisch, aber es war eben so. Ich bin auf Risiko gegangen und habe gedacht: „Jetzt lasst uns mal voll auf die Pfanne hauen“. Das hat super funktioniert. Rufus Beck war der Regisseur und war total aus dem Häuschen. „Den Typen müssen wir mitnehmen“, sagte er. Neue Welten, neues Glück! Eisbrecher mussten wir dann erstmal auf Eis legen. Der Eisbrecher musste sozusagen auf Reede. War okay und wir haben das Ding halt mal wieder frisch gestrichen. Ich möchte es nicht gemisst haben und habe eine Menge gelernt!

Was machen Eisbrecher bestenfalls in zehn Jahren?

Eisbrecher darf es in zehn Jahren nur dann noch geben, wenn wir uns mit dem Älterwerden weiterentwickeln, sodass es nicht peinlich wird und wir nicht gezwungen sind, Songs zu spielen, die nicht mehr passen, weil sie vor 30 Jahren entstanden sind und von denen wir meinen, dass man sie heute so nicht mehr ausdrücken möchte. Wenn die Zeit mit uns geht und wir mit der Zeit, und wir nicht selber zur lächerlichen Witznummer verkommen, dann kann es Eisbrecher auch in zehn Jahren noch geben.


Info: Das neue Eisbrecher-Album „Sturmfahrt“ erscheint heute, am 18. August 2017, via Sony Music und kann z.B. hier vorbestellt werden. Den aktuellen Tourplan der Band findet ihr hier.