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Hearsafe hört zu: Machine Head (USA) im Interview

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Hört sechsfingeriges Tapping im Kopf: Robb Flynn. © Albert Tatlock

Es überrascht, dass Robb Flynn das neue Album Catharsis seiner Band Machine Head für ausgesprochen melodisch und groovy hält. Denn die Metal-Helden aus San Francisco hauen uns wie gewohnt brachiale Riffs um die Ohren, dass es eine Art hat. Allerdings liegt die Finesse immer mehr im Detail. Im Interview erzählt von Robb von Songwriting im Kopf, dem Einfluss der Beatles und von ausgedehnten Wutausbrüchen.


Robb, gab es einen Plan für Catharsis?

Nein. Wir haben keine Ahnung, was wir da tun. Wir treffen uns, legen los, und was dabei rauskommt, kommt raus. Das verfolgen wir dann weiter. Manches klappt nicht, manches schon, und die Songs entwickeln sich eben in ihre eigene Richtung. Mir ist schon klar, dass sich das nicht clever anhört. Aber eigentlich weiß keiner, was zum Teufel er da macht. Wenn man ein Album komponiert, begibt man sich auf eine Reise. Man weiß nicht, wo man ankommt. Und wenn man sich einen genauen Plan macht, läuft es sowieso immer anders. Keith Richards hat mal gesagt: „Wir sind nur ein Gefäß. Man sich muss für die Musik öffnen, die durch einen fließt.“ Das sehe ich genauso.

 

Carthasis klingt melodischer, sagt der Chef, aber ordentlichen Metal-Wahnsinn gibt es immer noch. © Albert Tatlock

Hat dich überrascht, wo die Reise mit diesem Album hinging?

Absolut, und zwar so sehr, dass ich unseren Fans gegenüber in Videochats klargemacht habe: Erwartet nicht zuviel Härte, das wird ein sehr melodisches, groovendes Album. Und womöglich waren wir seit über einem Jahrzehnt nicht mehr so wenig thrashy. Ein paar Leute haben sich da bestimmt erschreckt, aber ich muss ehrlich sein. Ich will nicht, dass jemand denkt, hier gibt’s The Blackening II, und auch nicht Burn My Eyes II. Es kam eben mehr an Melodie und Groove raus, ohne einen bestimmten Grund. Die ersten Stücke, die wir geschrieben haben, waren „Screaming At The Sun“ und „Beyond The Pale“, und die sind nur vier Minuten lang. Unsere Reaktion: Wow, wir brauchen gar nicht 20 Millionen Riffs – das ist aber nett! So haben wir dann weitergemacht. Irgendwann kamen immer mehr melodische Parts dazu, fast schon Pop-Melodien. Zuerst waren wir uns nicht sicher, ob wir das wirklich bringen können, aber nach einer Weile hat uns nur noch interessiert, ob es gut ist oder nicht.

 

Popmelodien? Bei dem Gebrüll?

Wenn ich an Popmelodien denke, dann immer an die Beatles. Das war die erste Musik, die ich als Kind mitbekommen habe. Meine Eltern waren ziemlich streng, ich durfte nicht alles anhören. Es lief viel Black Music, alter R&B und Soul, zum Beispiel von den Commodores und Chaka Khan. Die „Hippy Beatles“ mit ihren ganzen Drogensongs durfte ich nicht auflegen, aber die „Happy Beatles“ gingen klar, Lieder wie „I Want To Hold“ und „Help“. Sowas kommt mir in den Kopf, wenn es um Popmelodien geht. Hört euch mal die Gesangsharmonien auf unserer Platte an: Das ist nicht meine Stimme und ein leiser Akzent dazu, sondern wie bei John und Paul: gleich laut und gleichberechtigt. Ich mag das.

 

Nun mag es auf Catharsis viele eingängige Melodien in Gesang und Gitarren geben, aber wir sprechen immer noch über ein ziemlich fettes Metal-Album. Vor diesem Hintergrund: Habt ihr euch Sorgen darüber gemacht, wie weit ihr gehen könnt?

Dazu gab es durchaus einige Diskussionen, ebenso zu ein paar provokanten Texten und harter Sprache. Da kam die Frage auf, ob man das so sagen muss oder ob man das so bringen kann. Aber tolle Songs passieren nicht alle Nase lang.

 

Im Intro zu „Heavy Lies The Crown“ hören wir ein Streichquartett. Wer schreibt sowas?

Hier kommen ein paar Gear-Nerd-Infos für euch: Ich habe einen MIDI-Pickup von Fishman. So kann ich mit der Gitarren zum Beispiel Cellospuren einspielen. Phil (Demmel, der zweite Gitarrist – Anm.d.A.) hatte die Basis für dieses Intro angebracht, und ich habe vor meinem inneren Ohr gehört, wie sich das aufbauen soll. Auf der Gitarre klang das doof, ich wollte das orchestraler und böser haben, mit klassischen Instrumenten nämlich. Es hat es eine Weile gedauert, aber mit dem MIDI-Pickup konnte ich so arrangieren, wie mir das vorschwebte, und zwar auf der Gitarre. Denn ich kann keine Saiteninstrumente spielen, nicht mal Piano. Nachher haben wir das noch mit echten Streichern aufgenommen.

 

Fällt es dir schwer, gleichzeitig zu singen und Gitarre zu spielen?

Oh ja! Das zu trennen, hat Jahre gedauert. Ich habe einfach immer weiter daran gearbeitet. Und es gibt einen Song, bei dem es dann geklappt hat: „Trapped Under Ice“ von Metallica. Bei dem Riff im Mittelteil, als Hetfield brüllt „Scream, from my soul…“, da habe ich es endlich geschafft, die Zeile völlig losgelöst von dem zu singen, was ich auf der Gitarre mache. Heute kommen beim Songwriting die Vocals oft erst, wenn die Riffs und Instrumentalparts schon fertig sind. Wenn wir dann auf Tour gehen wollen, muss ich das alles erstmal lernen. Und das ist manchmal tatsächlich sonderbar: Bei „This Is The End“ von Unto The Locust mit viel Picking und tausend Noten hatte ich keine Probleme. Aber bei „Clenching The Fists Of Dissent“ mit seinem supersimplen Neandertaler-Chorus konnte ich Gesang und Gitarre nicht trennen, fünf Wochen lang nicht. So kann’s gehen.

 

Folgen ihrer musikalischen Inspiration, wo immer sie hinführt: Machine Head 2018 © Albert Tatlock

Bist du nach mehr als zwei Jahrzehnten im Geschäft in der Lage, alles zu spielen, was du spielen willst?

Nein (lacht). Nicht alles, aber das meiste. Bei vielen Ideen weiß ich, wo ich hingreifen muss. Manchmal dauert es aber auch eine Weile, zum Beispiel im Anfang von „Bastards“ auf der neuen Platte: Das ist ein Tapping mit sechs Fingern in einem sonderbaren Tuning. Dafür habe ich ewig gebraucht, aber ich hatte es mir genauso schon vorgestellt. Das halbe Album habe ich im Kopf geschrieben. Manchmal „höre“ ich ein Riff, eine Melodie, manchmal beides zusammen, oder Bass und Drums. Das ist ein sonderbarer Prozess. Ich habe immer angenommen, dass das bei allen so läuft, aber anscheinend ist das nicht üblich (lacht).

 

Die ersten Worte im ersten Song von Catharsis lauten: „Fuck The World“. Womit beschäftigen sich deine Texte?

Sagen wir so: Es besteht kein Zweifel, dass dieses Album explizite, zeitgemäße Kommentare zu politischen und sozialen Entwicklungen enthält.

 

Bei welchen Songs?

Am offensichtlichsten in „Volatile“ und „Bastards“, aber nicht in allen Stücken. Ich höre viel Hip Hop, Punk Rock und Hardcore, damit bin ich aufgewachsen. Und in solchen Genres nehmen die Leute kein Blatt vor den Mund. Aus irgendeinem Grund hat sich Metal davon entfernt, und das finde ich sonderbar. Wir singen alle seit 30 Jahren über den gleichen Scheiß. Mit dieser Platte wollte ich die Metaphern abstreifen und nichts beschönigen, sondern mit harten, womöglich sogar vulgären Worten darüber singen, was für meinen Begriff abgeht und aus dem Ruder läuft. Das war so nicht geplant, aber so kam es eben raus. Zum Beispiel beim ersten Song „Volatile“: Die Nummer kam mir am Tag des Charlottesville-Massakers, als dort Nazis aufmarschiert sind und eine junge Frau getötet wurde. Ich habe den Text in 20 Minuten geschrieben, 20 Minuten später habe ich ihn eingesungen. Man hört da einen Ausbruch von Wut, Frustration und Gift. Wenn Musik einen Schnappschuss davon bietet, was jemandem in einem bestimmten Moment durch den Kopf geht, dann klingt das eben auch mal genau so.


Info: Carthasis erscheint am 26. Januar. Die Band hat eine Europatour für März angekündigt.