Heavy Metal und Blind Guardian gehören seit über 30 Jahren zusammen wie Gandalf und sein Zauberstab. Mit „Live: Beyond The Spheres“ erscheint morgen am 7. Juli das nunmehr dritte Livealbum der Tolkien-begeisterten Nordrhein-Westfalen. Ein Telefonat mit Gitarrist Marcus Siepen.
Hi Marcus und vielen Dank dafür, dass du dir die Zeit nimmst. Wie habt ihr damals zusammengefunden und wie kam es zur Gründung von Blind Guardian?
Der klassische Werdegang: Wir waren Kids, die auf Metal standen und eine Band gründen wollten. Wir hatten schon in unterschiedlichen Bands gespielt, waren mit den Line-Ups aber nie komplett glücklich. Als wir uns trafen, beschlossen wir, gemeinsame Sache zu machen. Das war Ende 1986, Anfang 1987 spätestens. Wir hatten von Anfang an die Vision, dass wir als Band professionell sein wollten, dass wir Platten produzieren und touren wollten. Das ganze Programm. Wir hatten einen Traum und haben alles daran gesetzt, diesen Traum zu verwirklichen. Wir haben jeden Tag geprobt, haben an Songs gearbeitet, haben versucht besser an unseren Instrumenten zu werden und der Traum hat sich irgendwann erfüllt: Wir haben damals einen Plattenvertrag bekommen, konnten die erste Platte aufnehmen und auf Tour gehen. Wir haben diesen Weg konsequent weiterverfolgt und heute, 30 Jahre später, sitze ich hier und rede darüber.
Wie hat sich der erste Plattenvertrag ergeben?
Wir hatten 1985 und 1986 zwei Demos aufgenommen. Ich selbst bin 1986 erst zur Vorgängerband von Blind Guardian gekommen. Damals haben wir uns bei allen möglichen Plattenfirmen beworben. Der damalige Chefredakteur vom Metal Hammer wollte ein Label gründen und war sehr interessiert daran, uns als erste Band zu signen und wir sind uns relativ schnell einig geworden.
Du hast es eben schon angesprochen: Ihr hattet vorher einen anderen Namen. Wie seid ihr im Endeffekt auf Blind Guardian gekommen?
Wir hießen ursprünglich mal Lucifer’s Heritage und aufgrund des Namens hat uns damals jeder, der die Musik nicht kannte, in die Black-Metal-Schublade gesteckt. Deshalb war auch schnell klar, dass wir einen anderen Namen brauchten, denn diese Leute haben schon aufgrund des Bandnamens abgewunken, ohne sich auch nur ansatzweise mit der Musik zu beschäftigen und das passte uns natürlich nicht. Also haben wir uns noch während der Aufnahmen des Debüts zusammengesetzt, tausende Namen auf Zettel geschrieben und verglichen – im Endeffekt gefiel uns Blind Guardian am besten. Der Name basiert auf dem Song „Guardian Of The Blind“, der auf unserem Debütalbum vertreten ist. Der Name passt deutlich besser zu den Fantasy-orientierten Texten. Wir haben es nie bereut und seitdem gab es aufgrund des Namens auch keine Anfeindungen mehr und niemand hat uns mehr in irgendwelche Schubladen gesteckt, in die wir eigentlich nicht gehören.
Auch die Fantasy-Inhalte in eurer Musik hast du gerade schon angedeutet. Ich hatte mit einem Freund über euch gesprochen, der ein sehr großer Fan ist und er hatte mir schon gesagt, dass ihr viele Tolkien-Inhalte in eurer Musik verarbeitet – woher rührt diese Begeisterung?
Als Teenager, als wir angefangen haben aktiv zu lesen und uns für Literatur zu interessieren, war das die Art Bücher, die uns am meisten gefallen hat. Von Tolkien über Stephen King bis hin zu Michael Moorcock oder den „Wheel Of Time“-Geschichten – alles in dieser Art hat uns immer fasziniert und war dann auch die erste Inspirationsquelle, als wir anfingen Texte zu schreiben. Die Art der Texte passt unserer Meinung nach auch am besten zur Musik, denn die ganzen Bücher – Tolkien als Extrembeispiel – sind sehr detailverliebt, genau wie unsere Musik. Das passt also ziemlich gut zusammen und war für uns eine logische Entwicklung. Wir haben uns nie hingesetzt und diskutiert was wir jetzt für Texte machen wollen, das hat sich natürlich so ergeben und wurde auch nie angezweifelt oder infrage gestellt.
Bald erscheint euer neues Livealbum „Live: Beyond The Spheres“. Nach mehr als 30 Jahren Bandgeschichte könnt ihr aus einem sehr umfangreichen Backkatalog schöpfen. Ich stelle es mir sehr schwierig vor, die Songs für ein Live-Album auszuwählen. Nach welchen Kriterien seid ihr vorgegangen?
Wir verwenden Tricks! Zunächst haben wir uns im Vorfeld der Tour eine ganz normale Setlist überlegt, die dann ausschlaggebend für das Livealbum war. Wenn wir auf Tour gehen, haben wir normalerweise gerade ein neues Album veröffentlicht und wollen dann natürlich auch die neuen Songs präsentieren. Wir haben auf der letzten Tour fünf Songs vom neuen Album im Programm gehabt. Außerdem gibt es einen ganzen Haufen Klassiker, die wir spielen müssen, weil die Fans uns sonst umbringen. Wir versuchen natürlich auch Stücke unterzubringen, die wir lange nicht mehr gespielt haben: Rare Schätzchen oder Songs, die wir noch nie gespielt haben. Trotz allem ist das nach 30 Jahren natürlich sehr eng. Wir haben aber relativ lange Shows gespielt. Die durchschnittliche Show war zwischen 130 und 140 Minuten lang, da kriegt man relativ viele Stücke unter. Wir haben im Endeffekt pro Abend ungefähr 18 Songs gespielt, aber 45 geprobt. Das heißt, dass wir jeden Abend die Setlist geändert haben. Es gab logischerweise Positionen, die fest waren, aber wir hatten auch ein paar Slots im Set die wir jeden Tag geändert haben. So konnten wir jeden Tag zwei, drei, vier Nummern austauschen. Dadurch kannst du über den Verlauf der Tour deutlich mehr Songs unterbringen, als wenn du jeden Abend dieselben 18 Stücke spielst. Dazu kommt, dass viele unserer Fans zu mehr als nur einer Show kommen. Durch die Rotation haben sie eine Garantie, dass sie unterschiedliche Sets sehen werden und auch für uns ist das sehr wichtig. Keiner von uns hätte Bock, über einen Zeitraum von zwei Jahren, die wir dieses Mal mit dem Album auf Tour waren, jeden Tag die gleichen 18 Songs zu spielen. Das würde sich zu einer tödlich langweiligen Routine entwickeln. Es soll ja auch für uns spannend und interessant bleiben.
Euer letztes Livealbum wurde 2003 veröffentlicht. Wie kam der Gedanke auf, gerade jetzt ein neues nachzulegen?
Wie du schon sagst: 2003 ist 14 Jahre her und wir hatten das Gefühl, dass es wieder an der Zeit wäre, weil wir seit dem letzten Livealbum drei neue Studioalben veröffentlicht und seit 2004 auch einen neuen Schlagzeuger in der Band haben, mit dem wir noch nie eine Liveaufnahme veröffentlicht haben. Wir wollten die Gelegenheit nutzen und dachten: Die Zeit ist reif – und dann haben wir das einfach in die Tat umgesetzt. Wir sind nicht die Band, die nach jeder Tour ein neues Livealbum rausschießt. Das ist Blödsinn und irgendwann wiederholst du dich nur noch. Wir warten deshalb immer, bis wieder ein paar Studioalben dazwischen liegen.
Du hast eben gesagt, dass ihr zwei Jahre am Stück auf Tour wart. Das ist nicht nur abenteuerlich, sondern auch sehr anstrengend. Wie hält man sich fit, wenn man so exzessiv tourt und jeden Abend – oder fast jeden Abend – auf der Bühne steht?
Du musst so gesund leben, wie du es hinkriegst. Wir achten auf unsere Ernährung, versuchen Obst und Vitamine einzubauen und so viel Schlaf wie möglich mitzukriegen. Natürlich sind auch Warm-Up-Übungen wichtig, speziell für unseren Sänger, denn wenn du so lange auf Tour bist, ist das sehr belastend für die Stimme. Hansi hat jeden Tag drei Stunden Warm-Up-Übungen gemacht, sowohl vor dem Gig als auch nach dem Gig noch einmal eine Stunde Entspannungsübungen für seine Stimme. Nur so hältst du das über einen so langen Zeitraum durch. Wir waren aber nicht zwei Jahre am Stück unterwegs, sondern wir hatten wirklich große Blöcke. Wir haben angefangen mit drei Monaten Europa am Stück und dann hatten wir vier Wochen zuhause, in denen wir relaxen konnten. Danach waren wir sieben Wochen in den USA, dann waren wir wieder für ein paar Wochen zuhause, bis wir nach Australien und Japan geflogen sind. Wir hatten immer ein paar kleine Breaks, in denen wir uns ein bisschen entspannen und erholen konnten. Das macht es schon deutlich angenehmer, denn zwei Jahre nonstop in Nightliner, Hotels oder Flugzeugen sitzen, ist doch nicht das Ziel. Das wird dann irgendwann sehr anstrengend.
Wahrscheinlich auch deshalb, weil ihr im Vergleich zu manch anderer Band eine sehr opulente Bühnenshow habt, mitunter viele Musiker und Instrumente dabeihabt. Wie sieht die technische Realisation aus?
Wenn wir in Europa mit Trucks und voller Produktion unterwegs sind, können wir mitnehmen, was immer wir wollen. In meinem Fall habe ich dann zum Beispiel zehn Gitarren dabei. Verstärkertechnisch spiele ich live Fractal Audio Axe Fx mit Sendern, Power-Conditioner und Switchern, auf zwei Racks kompakt verteilt. Wenn wir fliegen nehme ich mindestens mein Haupt-Rack mit – wenn es machbar ist natürlich auch das Backup-Rack. Wenn wir fliegen, kann ich natürlich keine zehn Gitarren mitnehmen, denn jedes Kilo Übergepäck lassen sich Fluggesellschaften sehr, sehr teuer bezahlen. In dem Falle nehme ich nur drei Gitarren mit, eine Siebensaitige und zwei Sechssaitige. Zur Not komme ich auch problemlos mit dem kleinen Besteck aus und bei den Kollegen sieht es ähnlich aus. Entweder halbiert man das Gepäck oder man versucht es so klein und kompakt wie möglich zu halten.
Die Anstrengungen auf Tour sind für uns natürlich besonders im Hinblick auf die Ohren interessant, die besonderen Anstrengungen ausgesetzt sind, wenn man jeden Abend auf der Bühne steht und auch noch das Publikum vor sich hat. Wie geht ihr mit diesen Lautstärken um?
Seit 2002 haben wir komplett auf In-Ear-Monitoring umgestellt. Das war die beste Entscheidung unserer gesamten Karriere. Zum einen schützt du natürlich die Ohren, denn – ich verrate jetzt kein Geheimnis – eine Heavy-Metal-Band ist relativ laut und auch bei uns war es das damals auf der Bühne. Ich habe damals noch keine Axe Fx gespielt, sondern hatte zwei Triple Rectifier auf der Bühne stehen und die sind ziemlich leistungsstark. André [Olbrich, Lead-Gitarrist – Anm.d.Verf.] hatte seine Engl-Tops und die sind auch nicht wirklich leiser. Das heißt, dass wir auf der Bühne echt Radau gemacht haben. Der Wechsel zum In-Ear-Monitoring hat das deutlich angenehmer gemacht, weil du dann am Beltpack selber entscheiden kannst, wie laut du es haben möchtest. Selbst wenn du den Verstärker irgendwo hinstellst und aufreißt, kannst du ihn per Kopfhörer leiser regeln. Das macht die Sache viel, viel angenehmer, speziell über einen so langen Zeitraum.
Der andere, unschätzbare Vorteil ist zum einen, dass sich jeder seinen individuellen Mix basteln kann. Das heißt, wenn ich sage: Ich möchte in meinem In-Ear-Mix meine Gitarre brüllend laut haben, dann zerschieße ich den anderen dadurch nicht ihren Mix, denn die anderen Bandmitglieder können sich alles so einrichten, wie sie das haben möchten.
Außerdem habe ich die Freiheit, mich auf der Bühne völlig frei zu bewegen, ohne dass sich mein Sound auch nur ansatzweise ändert. Ich kann auch auf Andrés Seite gehen und mich direkt vor seine Boxen stellen und mein Sound ändert sich trotzdem nicht, weil die Kopfhörer komplett dicht machen und ich wirklich nur mein Kopfhörersignal höre. Dadurch spielt man natürlich auch besser, weil man sämtliche Informationen der anderen Instrumente viel, viel klarer hört, als wenn man auf der Bühne alle Verstärker aufreißt und sagt: Mal gucken, wie ich da durchkomme. Es hat das Überleben der Ohren gesichert und es hat die Bandperformance an sich definitiv nach vorne gebracht.
Es geht für mich auch überhaupt kein Weg mehr am In-Ear-Monitoring vorbei. Wie gesagt, wir haben 2002 damit angefangen und ich würde für kein Geld der Welt mehr ohne In-Ear-Monitor auf die Bühne gehen, weil ich weiß, dass die Performance schlechter wäre und dass ich danach ein Pfeifen in den Ohren habe, weil es wieder laut ist. Es wäre definitiv ein Schritt zurück, den ich nicht machen möchte.
Ihr seid jetzt seit Jahrzehnten ein sehr erfolgreicher Bestandteil des Musikgeschäfts und gehört zu den größten deutschen Metal-Bands, die es gibt. Was hat sich verändert, seitdem ihr angefangen habt und was würdest du einer Band, die jetzt gerade anfängt, mit auf den Weg geben?
Die gesamte Musikszene hat sich ziemlich geändert. Als wir angefangen haben, gab es noch kein Internet, dementsprechend keine Downloads, gar kein Musikstreaming und kein YouTube. Die ganze Infrastruktur war damals eine ganz andere. Du hast am Anfang Vinyl veröffentlicht, Plattenfirmen haben versucht neue Acts langfristig aufzubauen. Das hat sich mittlerweile deutlich verschoben. Jede Band kämpft heute mit illegalen Downloads. Streaming ist zwar eine sehr praktische Option, wirft aber auch nicht viel Geld ab. Auf der anderen Seite hast du über das Internet die Möglichkeit, deine Fans sehr bequem und weltweit direkt zu erreichen. Wenn du Nachrichten verbreiten möchtest, News über Konzerte oder neue Alben, kannst du das darüber machen. Man muss für sich den goldenen Mittelweg finden, um Tools wie das Internet gut nutzen zu können.
Man sollte als junge Band grundsätzlich versuchen – das war damals nicht anders und das gilt auch heute noch – seinen eigenen Weg zu gehen und nicht auf irgendwelche Trends aufzuspringen. Jeder Trend verschwindet wieder und wenn du auf den Trend setzt, verschwindest du sang- und klanglos mit ihm. Man sollte das machen, was von Herzen kommt. Nur dann kannst du wirklich gut sein. Man sollte sich überlegen, was man machen möchte und sollte diesen Weg dann auch verfolgen – mit allen Konsequenzen. Wenn man es nur halbherzig versucht, ist das Scheitern fast garantiert.
Ihr habt jetzt schon so viel erreicht – was wünscht ihr euch für die Zukunft noch?
Dass es so weitergeht. Wir lieben nach wie vor, was wir tun. Das hat sich nicht geändert. Wir genießen es, Stücke zu schreiben und aufzunehmen; wir genießen es, zu touren und es gibt noch so viele Sachen, die wir noch probieren und mit denen wir herumexperimentieren möchten. Es gibt noch Länder und Städte, die wir noch nicht bereist haben.
Von daher: Es gibt noch sehr, sehr viel zu tun und solange uns das Spaß macht, wie es in den letzten 30 Jahren der Fall war, freuen wir uns auf jeden neuen Tag, den wir mit der Welt verbringen können.
Info: Das neue Blind-Guardian-Album „Live: Beyond The Spheres“ erscheint am 7. Juli 2017 über Nuclear Blast Records und kann z.B. hier vorbestellt werden. Den aktuellen Tourplan der Band findet ihr hier.